Bewusste Irreführung oder freie Meinung? So begegnen wir Desinformation
Wo verläuft die Grenze zwischen gefährlicher Falschinformation und freier Meinungsäußerung? Die Arbeit im Bereich Desinformation ist eine besondere Herausforderung.
Desinformation – der Begriff bestimmt immer wieder die Schlagzeilen der Zeitungen, die Fragestellungen auf Podien und die Agenden der nationalen sowie internationalen Politik. Doch was bedeutet Desinformation eigentlich? Auch wenn es bis heute schwerfällt, das Phänomen trennscharf und erschöpfend zu beschreiben, lassen sich doch einige prägende Charakteristika identifizieren.
Wie sieht Desinformation aus und warum ist sie so gefährlich?
Desinformation hat viele Gesichter und nur selten ist sie als solche zu erkennen, da sie mitunter täuschend echt und wie eine legitime Nachricht aussieht. Das Spektrum, auf dem sich Desinformation bewegen kann, ist breit und reicht von völlig frei erfundenen Inhalten über absichtlich falsche Kontextualisierung bestehender Inhalte bis hin zum bewussten Weglassen von Informationen. Längst handelt es sich bei Desinformation nicht mehr nur um Texte. Durch technologische Fortschritte lassen sich auch visuelle und audiovisuelle Inhalte immer besser nutzen, um gezielt falsche oder irreführende Informationen zu verbreiten. Aber auch gekaufte Likes, die massenhafte Verwendung von Fake Accounts oder nicht gekennzeichnete politische Werbung werden bisweilen als Desinformation bezeichnet, da sie die tatsächliche Relevanz oder Reichweite eines Beitrags oder eines Themas verzerren können. Eine wichtige Aufgabe ist es nun, die verschiedenen Facetten von Desinformation erkennen und unterscheiden zu lernen. Nur dann kann man diesem Problem angemessen begegnen.
EU Definition von Desinformation
„Desinformationen“ sind nachweislich falsche oder irreführende Informationen, die mit dem Ziel des wirtschaftlichen Gewinns oder der vorsätzlichen Täuschung der Öffentlichkeit konzipiert, vorgelegt und verbreitet werden und öffentlichen Schaden anrichten können. Aktionsplan gegen Desinformation 2018
Versehentliche Fehler bei der Berichterstattung, Satire und Parodien oder eindeutig gekennzeichnete parteiliche Nachrichten oder Kommentare fallen also explizit aus dem Begriffsverständnis heraus. Vielmehr geht es bei der Verbreitung von Desinformation in der Regel darum, gesellschaftliche Spannungen zu vertiefen oder politische und wirtschaftliche Prozesse zu beeinflussen. Häufig geschieht dies unter Ausnutzung moderner Technologien, wie Bot-Netzwerken oder Deepfakes.
Mach den digitalen Nachrichtentest
Forschung für ein solides Fundament
Wann ist etwas Vorsatz, womöglich gesteuert von Institutionen oder Staaten, endlos skalierbar über tausende Fake-Accounts? Und was ist eine freie Meinungsäußerung, die vielleicht für andere ärgerlich ist, aber die wir entsprechend unserem gesetzlichen Auftrag schützen wollen? Die Unterscheidung ist in der Praxis selten so klar, wie es in der Theorie klingt. Unser Ansatz als Landesanstalt für Medien NRW ist es, das Thema Desinformation zunächst auf ein solides Fundament zu stellen. Wir geben Forschung und Umfragen in Auftrag, die eine etwaige Bedrohungslage greifbar machen. Mit verschiedenen empirischen Ansätzen untersuchen wir, ob und inwiefern Desinformation demokratiegefährdend sein kann und wann es regulatorischer Eingriffe bedarf. Die gute Nachricht: Eine unserer Studien zeigte, dass das einmalige Lesen einer Fehlinformation die Meinungsbildung kaum beeinflusst – vorausgesetzt, es gab schon eine Voreinstellung zu dem Thema.
Desinformation missbraucht und nutzt das, was wir eigentlich schützen wollen:
die Meinungsfreiheit. Das macht ihre Regulierung so herausfordernd.
Desinformation ist demokratiegefährdend. In einer Demokratie, in der jede und jeder durch seine Stimme den Ausgang von Wahlen und damit die politische und soziale Realität in seinem Land mitgestalten kann, ist es eine Grundvoraussetzung, dass Informationen frei zugänglich und faktisch richtig sind. Dabei spielen die Medien eine wichtige Rolle. In den Medien findet der öffentliche Diskurs statt und die verschiedenen Meinungen und auch Stimmungsbilder in der Bevölkerung sollen sich in ihnen widerspiegeln. Durch die Verbreitung von Desinformation wird dieses entscheidende Element einer jeden Demokratie jedoch systematisch untergraben. Ihr Potenzial, die Demokratie beziehungsweise die demokratischen Strukturen zu destabilisieren, Ängste zu schüren und Unsicherheiten zu verstärken, macht Desinformation zu einem zentralen Thema für die Innen-, Außen- oder Wirtschaftspolitik. Aber auch die Medienpolitik muss sich mit diesem Phänomen befassen.
Warum ist Desinformation ein medienpolitisches Thema
Die Medienaufsicht in Deutschland ist der Meinungsfreiheit verpflichtet. Unsere wichtigste Aufgabe ist es, eine freie Meinungsäußerung in den Medien und eine freie Meinungsbildung durch die Medien zu ermöglichen. Wenn jedoch der öffentliche Diskurs durch die gezielte Verbreitung von Falschinformationen verzerrt wird, ist das nicht möglich. Hier bedarf es also einer medienpolitischen Lösung.
Die besondere Herausforderung im Umgang mit Desinformation liegt darin, dass sie das Herzstück einer demokratischen Medienordnung für sich nutzt und es gleichzeitig zerstört: Das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht zu erhalten und gleichzeitig vor strafbarem Missbrauch zu schützen, ist, insbesondere vor dem Hintergrund technologischer Entwicklungen, eine besonders wichtige Aufgabe.
Warum ist Desinformation ein medienpolitisches Thema?
Was wir heute schon tun und was es noch braucht - Ein abgestufter Ansatz
Sorgfaltspflichten – wenn es drauf ankommt
Wie die Aufgaben der Medienaufsicht im Rahmen von §19 MStV nicht zu verstehen sind.
Die Landesmedienanstalten sind weder Wahrheitspolizei noch Hüterinnen des guten Geschmacks. Man kann mit Wahrheit täuschen und gleichzeitig ist nicht jede Unwahrheit eine bewusste und willentliche Täuschung. Ob es einem persönlich gefällt oder nicht, ist für die Bewertung des Sachverhaltes nicht von Bedeutung. Die Bewertungsgrundlage liegt nicht im was, sondern wie veröffentlicht wird.
Wie wir vorgehen
Unser gesetzlicher Auftrag liegt darin, nachzuhalten, ob Anbieter, die in journalistisch-redaktionell gestalteten Telemedien Nachrichten und politische Informationen verbreiten, das publizistische Handwerk angemessen umsetzen. Die journalistisch-redaktionellen Sorgfaltspflichten dienen dabei als objektiver Referenzrahmen, mit dem das Handwerk der Erstellung von Informationen und Nachrichten inhaltsneutral in den Blick genommen werden kann. Sie müssen insbesondere für Absender gelten, denen durch ihre Funktion im öffentlichen Diskurs eine besondere Glaubwürdigkeit zukommt. Dies betrifft zum Beispiel staatliche und staatlich finanzierte Stellen oder reichweitenstarke Accounts. Wird bei der Prüfung eines Angebots ein Verstoß festgestellt, sind die Landesmedienanstalten nach Maßgabe von § 109 Abs. 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 und 2 MStV dazu ermächtigt, Maßnahmen gegen das Angebot zu ergreifen. Dazu zählen unter anderem Beanstandung und Untersagung. Dem voraus geht selbstverständlich immer ein förmliches Anhörungsverfahren. Der Anbieter oder die Anbieterin hat zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit, gegen die gegen ihn verhängten Maßnahmen Rechtsmittel einzulegen. Am Ende entscheiden dann die Gerichte über die Zulässigkeit der Maßnahmen.
Verbot manipulativer Verbreitungstechniken
Zwar ist Desinformation an sich kein neues Phänomen, jedoch hat es sich in Qualität und Quantität spätestens mit dem Aufkommen des Internets grundlegend verändert. Um Desinformation im Netz noch effizienter bekämpfen zu können, braucht es ein Verbot manipulativer Verbreitungstechniken. Hierunter fällt etwa der massenhafte, koordinierte Einsatz von Bots und Fake-Accounts zur bewussten Täuschung der Öffentlichkeit oder Techniken inhaltlicher Fälschung, welche die freie Meinungsbildung erheblich gefährden. Denn die Überprüfung der journalistischen Sorgfaltspflichten allein reicht nicht aus, um das Problem der Desinformation abschließend zu lösen. Die Medienanstalten plädieren für einen abgestuften regulatorischen Ansatz, bestehend aus Transparenzvorschriften, Sorgfaltspflichten und einem Verbot manipulativer Verbreitungstechniken.
Selbstbestimmte und angemessene Reaktion auf Desinformation ermöglichen
Medienorientierung: Informations- und Meinungsbildungskompetenz
Um Bürgerinnen und Bürger dabei zu unterstützen, Desinformation besser erfassen und einordnen zu können, stellen wir im Rahmen unseres gesetzlichen Auftrags ein umfassendes Angebot an Projekten und Maßnahmen zur Medienkompetenzförderung zur Verfügung. Dabei werden hilfreiche und praxistaugliche Techniken, Kompetenzen, Informationen vermittelt, um sich selbstbestimmt und unabhängig eine Meinung bilden zu können.
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